München. Ob obdachlos, einsam oder arm: Für viele Menschen sind die Bahnhofsmissionen ein wichtiger Anker in der Not. Die meist ökumenisch getragenen Einrichtungen sind auch im zweiten Corona-Winter nach Kräften für ihre Gäste zur Stelle. Aber fast zwei Jahre Dienst unter schwierigsten Bedingungen haben ihre Spuren hinterlassen.
Die 13 Bahnhofsmissionen im Freistaat laufen nach wie vor im Krisenmodus. „Die Arbeit ist eine andere geworden“, so Hedwig Gappa-Langer und Harald Keiser von der Arbeitsgemeinschaft der kirchlichen Bahnhofsmissionen in Bayern. Wegen der räumlichen Enge bleiben mancherorts die Aufenthaltsräume ganz geschlossen. Oder sie sind aufgrund der geltenden Hygienerichtlinien nur eingeschränkt nutzbar.
„Wir leiden alle unter dieser Situation“, sagt Barbara Thoma (Evangelisches Hilfswerk München) vom Leitungsteam der Münchner Bahnhofsmission, „gerade in der kalten Jahreszeit fehlt uns und unseren Gästen der Aufenthaltsbereich sehr – nicht nur als Möglichkeit zum Aufwärmen, sondern auch zur Kontaktaufnahme.“ Vieles spielt sich pandemiebedingt jetzt vor den Türen der Bahnhofsmission ab: Die stark nachgefragte Notversorgung mit Getränken oder Schmalz- und Margarinebroten läuft über ein Ausgabefenster. Rein darf, wer eine persönliche Beratung braucht – der Aufenthaltsraum ist umfunktioniert zum Wartezimmer.
Oft gehen die Mitarbeitenden nach draußen, um mit den Hilfesuchenden zu reden. Gesprächsbedarf gibt es reichlich in diesen Tagen. „Das sind alles andere als optimale Arbeitsbedingungen“, ergänzt ihre Kollegin Bettina Spahn (IN VIA München) mit Blick auf den Winter, „bei den Mitarbeitenden wie den Besucher:innen macht sich zunehmend Erschöpfung breit.“ Was für sie und ihr Team besonders belastend ist? „Wir können den Gästen nicht immer das bieten, was sie in ihrer Not und Verzweiflung brauchen“, bedauert Spahn die Einschränkungen, „aber wir tun, was geht und geben unser Bestes bei durchschnittlich 550 Kontakten täglich.“ Das schweißt zusammen, „wir sind ein starkes Team.“
Auch für Michael Lindner Jung, Leiter der Bahnhofsmission Würzburg, und seine Leute ist die aktuelle Situation schwer auszuhalten, „wir arbeiten permanent am Limit und haben trotzdem das Gefühl, dass es nicht reicht.“ Auf der einen Seite gelte es, Mitarbeitende wie Besucher:innen durch verschiedenste Maßnahmen bestmöglich vor einer Infektion zu schützen, auf der anderen Seite „haben wir den Auftrag für Menschen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten da zu sein.“ Im Vergleich zum vergangenen Winter habe sich die Lage noch verschärft, „viele sind psychisch in einer schlechteren Verfassung als noch vor einem Jahr, haben ihre letzten Anhaltspunkte, die Orientierung und die Hoffnung verloren.“ Wie aber Verzweiflung lindern, wenn kein Ende der Krise in Sicht ist? „Uns ist es wichtig, Menschen in dieser Situation, so gut wir können, Halt zu geben. Sie haben sonst niemand mehr“, so Lindner-Jung. Die Bahnhofsmission ist für sie oft letzter Zufluchtsort.
Vier Gäste gleichzeitig finden derzeit in der Würzburger Mission (Träger: Christophorus Gesellschaft) einen Platz zum Ausruhen, Aufwärmen, auch zu Gesprächen – mit ausreichend Abstand und FFP2-Maske. „Das alles ohne 3-G-Regel. Dafür aber mit einem verlässlichen Hygienekonzept.“ Essen und Trinken gibt es „to go“. Beheizter öffentlicher Raum wird in den kommenden Wochen immer wichtiger werden, da ist sich Lindner-Jung sicher. Denn mit der für viele Lebensbereiche neu eingeführten 2-G-Regel wie z.B. im Einzelhandel würden auch Rückzugsräume für diejenigen wegfallen, die in „ungesicherten Unterkünften“ oder auf der Straße leben und tagsüber Schutz, Wärme oder eine Toilette in den Innenstädten suchen.
Die Bahnhofsmission Passau (Träger: Caritas Passau) hat sich zur Sicherheit der Gäste und der eigenen Mitarbeitenden für die 2G-Regel entschieden. „Das hat sich sehr schnell herumgesprochen“, sagt Angelika Leitl-Weber, „solange wir auf diese Weise den Aufenthaltsraum offen halten können, haben unsere Besucher:innen kein Problem damit.“ Geholfen wird natürlich auch denen, die nicht geimpft oder genesen sind bzw. die den entsprechenden Nachweis nicht parat haben, „dafür haben wir unser Ausgabefenster oder wir gehen nach draußen.“
In sehr beengten Räumlichkeiten ist die Bahnhofsmission Hof zuhause, die vom Beginn des Lockdowns Anfang November 2020 über viele Monate verschlossen blieb. Seit Anfang Juni hat sie wieder geöffnet, derzeit täglich von 9 bis 16 Uhr. Zwei Gäste gleichzeitig können momentan nach der 3-G-Regel in die Räume. „Wir wissen nicht, wie lange wir den Betrieb aufrecht erhalten können“, betont Christian Nowak vom Caritasverband Stadt und Landkreis Hof, der gemeinsam mit der Diakonie Hochfranken das Hilfsangebot betreibt. Die Öffnungszeiten werden komplett ehrenamtlich abgedeckt. Sollten die engagierten freiwilligen Helferinnen und Helfer Bedenken anmelden, könnte erneut eine Schließung drohen.
„Wieder sind es in diesem Winter die Menschen in schwierigen Lebenssituationen, die die Pandemie am Härtesten trifft“, resumiert Hedwig Gappa-Langer, zuständige Referentin beim Caritas-Fachverband IN VIA Bayern e.V., „Es ist ein permanenter Spagat, diesen Menschen, deren Impfstatus manchmal unklar ist, eine Grundversorgung und Aufenthaltsmöglichkeiten zu bieten und für sie da zu sein sowie gleichzeitig den Schutz der Gäste sowie Mitarbeitenden zu gewährleisten. Jede Bahnhofsmission hat hier ihr eigenes Konzept je nach Raumangebot, Personalsituation und regionalem Infektionsgeschehen.“ Ihr Kollege Harald Keiser vom Diakonischen Werk Bayern ergänzt: „Zu sehen, dass ihre Hilfemöglichkeiten begrenzt sind, ist oftmals eine enorme Belastung vor allem auch für die vielen ehrenamtlich Mitarbeitenden.“
Wer die Arbeit der Bahnhofsmissionen in Bayern unterstützen will, findet über www.bahnhofsmission-bayern.de eine Bahnhofsmission in seiner Nähe. Vor allem Geldspenden werden natürlich immer gebraucht. Vor Ort erhält man Auskunft, wie man sonst noch helfen kann. (Text: Annette Bieber)
Spenden (IN VIA Bayern e.V.)
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Spenden (Diakonisches Werk Bayern e.V.)
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